Airtime: Radioautomation auf Basis von Liquidsoap
Auch wenn ich zum Jahresende meine Mitarbeit bei SLANG Radio aufgeben muss, habe ich mich in den vergangenen Wochen in einer Testumgebung mit der von Sourcefabric entwickelten und komplett Browser-basierten Radio-Automation Airtime befasst. Hierbei handelt es sich um eine All-in-one-Lösung, welche theoretisch ohne händische Eingriffe den kompletten Betrieb einer Radiostation realisieren kann. Man könnte Airtime auch als eine eierlegende Wollmilchsau für den Radiomacher bezeichnen. Doch wie so oft kommt es gerade bei Allround-Software auf die Details an, bei denen es an mancher Stelle noch Verbesserungsbedarf gibt - aber dazu später mehr.
Aufbau und Installation
Im Backend von Airtime kommt eine Playout-Engine zum Einsatz, welche auf Liquidsoap basiert, als Datenbank wird standardmäßig auf PostgreSQL gesetzt. Des Weiteren ist ein Media-Monitor enthalten, der automatisch neu hinzugekommene Dateien im Dateisystem überwacht und sie in die Bibliothek einliest. Das Frontend wurde in PHP realisiert und sollte problemlos auf einem Apache-Webserver lauffähig sein. Das Sendesignal kann an lokale oder externe Icecast- und Shoutcast-Server (vermutlich nur Shoutcast 1.X) gestreamt werden, lässt sich aber auch über eine vorhandene Soundkarte wiedergeben.
Airtime läuft unter Linux und kann je nach Distribution relativ einfach auch von Leihen installiert werden. Wem eine Standardkonfiguration ausreicht, kann sich für Debian-basierte Systeme einen Auto-Installer als Deb-Paket herunterladen, welcher dann alle weiteren benötigten Pakete herunterlädt und die Konfiguration anpasst. Natürlich lässt sich Airtime auch von Hand installieren, um bereits im System vorhandene Konfigurationen nicht zu gefährden oder um von der Standardkonfiguration abzuweichen. Diese Variante werden vor allem sicherheitsbewusste Administratoren vorziehen, da Airtime an einigen Stellen keine sehr restriktive Konfiguration aufweist und einige Dienste sogar unter dem Root-Benutzer laufen lässt. Begründet wird dies damit, dass man es den Nutzern so einfach wie möglich machen möchte, ihr eigenes Radio an den Start zu bringen. Möchte man sich aber gar nicht selbst mit der Pflege eines Airtime-Systems befassen, bietet Sourcefabric unter der Bezeichnung Airtime Pro auch eine Managed-Hosting-Lösung an.
Die Funktionen
Nach dem ersten Anmelden präsentiert sich der Startbildschirm als weitgehend inhaltslose Ansicht, da noch keine Sendungen geplant sind. Wurden bereits Sendungen eingetragen, sieht man hier die gerade laufenden sowie noch ausstehende Songs und kann letzte Änderungen von Hand vornehmen. Alle Optionen zum Planen einer Sendung sind schnell über das Menü im oberen Seitenbereich erreichbar und sinnvollerweise so angeordnet, dass sich alle Aufgaben nacheinander abarbeiten lassen. Zuerst Medien importieren, danach in der Bibliothek Playlisten, Smart-Blöcke oder Webstreams anlegen und schließlich im Kalender die gewünschte Sendung planen. Im Menü System lassen sich u. a. die Airtime-Einstellungen und Ausgabe-Streams bearbeiten sowie Benutzer und zusätzliche Medien-Ordner verwalten. Auch an die rechtliche Seite wurde gedacht, denn im Menü Verlauf können gespielte Songs nachvollzogen und z. B. als Report für Verwertungsgesellschaften ausgedruckt werden. Im Hilfe-Menü findet sich schließlich noch der Link zum Benutzerhandbuch, in welchem alle Optionen ausführlich beschrieben sind. Die gesamte Bedienung wird durch Javascript für Echtzeit-Aktualisierungen unterstützt, ist dabei aber auch von Screen-Reader-Nutzern weitgehend hervorragend nutzbar.
Airtime kann sowohl automatisierte als auch Live-Sendungen abwickeln. Dazu stellt das System 3 verschiedene Inputs bereit, deren Status im Seitenkopf angezeigt wird. Als geplante Wiedergabe wird die reine Sende-Automation bezeichnet, während Show-Source und Master-Source für externe Eingänge gedacht sind, also Live-Sendungen. Dabei ist die Master-Source der Sende-Eingang mit höchster Priorität und kann für spontane Live-Sendungen ohne Kalender-Planung verwendet werden, während die Show-Source ein geplantes Live-Streaming ermöglicht. Ein in den Einstellungen konfigurierbares Crossfading sorgt dafür, dass die Übergänge zwischen Live- und Automationsbetrieb sauber klingen und es zu keinen Knacksern kommt, wie etwa bei einer manuellen Icecast-Mountpoint-Konfiguration.
Der Automationsbetrieb lässt sich sehr variabel gestalten. Sind genügend Songs in der Bibliothek, lassen sich ohne großen Aufwand mit sogenannten Smart-Blöcken dynamische oder statische Playlisten erstellen, die nach verschiedenen Kriterien gestaltet werden können. Natürlich lassen sich Playlisten auch von Hand mit Songs füllen. Zu beachten ist, dass Airtime die ID3-Tags zur Verwaltung der Musik verwendet. Es sollte also nicht nur auf eine korrekte UTF8-Beschriftung der Dateien geachtet werden, sondern auch auf möglichst vollständige Tags, damit sich die Musikstücke schnell wiederfinden lassen. Wer seine Playlisten nach Themen anlegt, muss also die ID3-Tags nutzen, um vorher die Musik entsprechend zu kennzeichnen (Album, Genre, Kommentar etc). Stehen diese Informationen nach einmaliger Fleißarbeit aber zur Verfügung, lassen sich in Windeseile die gewünschten Playlisten erstellen.
Die kleinen Kleinigkeiten
Im Großen und Ganzen ist Airtime eine sehr gelungene Automationslösung, die es bei richtiger Konfiguration mit kommerziellen Produkten aufnehmen kann. Manche Funktionen lassen sich aber noch nicht in der Standardkonfiguration realisieren, sodass Airtime sicher nicht für jedes Radio geeignet sein dürfte. So fehlt z. B. die Möglichkeit, das Sendesignal mit einem Compressor/Limiter zu bearbeiten. Stattdessen setzt Airtime automatische Replaygain-Tags, um die Lautstärke der Songs auf gleichem Level zu halten. Was für den Automationsbetrieb durchaus in Ordnung klingt und ohnehin jeder matschigen Radio-Kompression vorgezogen werden sollte, stellt sich spätestens bei den Live-Sendungen als Problem heraus. Hier muss der Moderator selbst dafür Sorge tragen, dass sein Sendesignal angepasst wird. Anderenfalls könnte man das Signal durch einen externen Prozessor leiten, was jedoch bei niedrigen Bitraten zu Lasten der Klangqualität gehen kann, da Airtime ohnehin schon die eingehenden Streams intern neu kodiert.
Ein weiteres Problem ist der recht primitive Crossfader, der einen sauberen Übergang zwischen den Songs ermöglichen soll. Zwar können Crossfading, Fade-In und Fade-Out konfiguriert werden, doch fehlt ein sogenannter Gap-Killer, um Stille am Ende eines Tracks dynamisch durch Einblenden des nächsten Songs auszugleichen. Der integrierte Stille-Erkenner zum Setzen der Cue-Points wirkt leider nur unzureichend, sodass es schwer ist, die richtige Crossfading-Einstellung zu finden. In meinem Test hat sich aber eine Dauer von 3 Sekunden als die am saubersten klingende Lösung herausgestellt. Unter Umständen lässt sich mit einem Audio-Trimmer hier noch mehr herausholen, was ich allerdings nicht näher getestet habe.
Bislang noch nicht realisiert, aber laut eines Blogeintrags für zukünftige Versionen geplant sind wiederkehrende Shows mit Inhalten aus Smart-Blöcken, sodass nicht jeden Tag aufs Neue die Automation für Musikstrecken programmiert werden muss.
Alles in allem ist Airtime aber eine durchaus brauchbare Automationslösung, deren Entwicklung noch längst nicht abgeschlossen sein dürfte und sicher die ein oder andere Problemstelle noch beseitigt wird. Schade nur, dass ich meinen Testsender wohl nie in den Regelbetrieb schicken können werde.